Mediation als Beratung oder mediative Beratung?

Was macht die denn eigentlich so ganz genau?

Erschienen in „Perspektive Mediation“ 2/2018 von Dr. Gabriele Pinkl

Anhand von Beispielen aus der Beratungs-/Mediationspraxis soll dargestellt werden, wie in einer kirchlichen Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle Mediation bzw. mediative Beratung ihren Platz finden kann, wie sie andere Beratungsformen erweitert, evtl. bereichert und wie „mediative Beratung“ sich ggf. von einer „klassischen Mediation“1 unterscheidet.

 

Was ist Beratung – was ist Mediation: Warum ich eine Klärung wichtig finde?

Nach einem längeren Diskussions- und Entscheidungsprozess hat sich die Ehe-, Familien- und Lebensberatung der Diözese Passau entschieden, Mediation in das Spektrum der Beratungsansätze aufzunehmen.2 Seitdem arbeite ich an der Beratungsstelle als Paar- und Familienmediatorin und als Ehe-, Familien- und Lebensberaterin.
Als ich an die Beratungsstelle mit diesen beiden inhaltlichen Schwerpunkten kam, wussten einige nicht so genau, was denn jetzt Neues angekommen sein sollte, und wenn es etwas Neues ist, was daran hilfreich sein soll, oder ob man das nicht ohnehin irgendwie immer schon auch gemacht habe, halt unter anderem Namen. Mir wurde damals für mich wichtig, dass ich in mir selbst ein Mindestmaß an Rollenklarheit habe, ich jeweils weiß, was ich gerade mache, und am besten auch noch, warum ich (jetzt) gerade das mache, was ich mache.
Mir ist selber immer sehr unwohl, wenn ich beobachte, dass für ähnliches Tun bisweilen die Begriffe ausgetauscht werden, damit es irgendwie moderner (oder qualifizierter !?!) erscheint, oder wie gleiche Begrifflichkeiten für unterschiedliches verwendet wird, weil es „eh irgendwie egal ist“. An beraterische Kompetenz habe ich den Anspruch, dass wir selbst wissen und benennen können, was wir tun, dass wir uns ggf. trauen, Bewährtes und Älteres auch gelten zu lassen, ohne dafür neue Begriffe gebrauchen zu müssen (damit wir in der schnelllebigen Welt nicht so altmodisch daherkommen) und dass wir unsere Klientinnen und Klienten nicht täuschen. Ein Kollege hat einmal zu mir gesagt, es sei egal, was wir machen und wie wir es nennen, die Hauptsache wäre, dass es hilfreich ist – wenn Menschen Mediation wollen, weil das „gerade „In“ sei“, dann könnten wir das ja anbieten, auch wenn wir vielleicht etwas Anderes machen. Ich denke aber, wir sollten schon ehrlich mit uns, vor allem mit den Klienten sein. Und da bin ich schon ziemlich nahe an dem, was ich unter mediativer Haltung einbringen möchte: unbedingte Verbundenheit zu ethischen Standards (das habe ich in meiner Mediationsausbildung als zentralen Wert vermittelt bekommen, den ich sehr zu schätzen weiß) und das Bemühen um Transparenz den Menschen gegenüber, mit denen wir arbeiten.
Wenn ich diese Diskussionen hier beschreibe, dann nicht, um mich über einen Kollegen zu beklagen, sondern weil mir diese Diskussion, in der einen oder anderen Form immer wieder begegnet. Mal wird etwas Supervision genannt, mal Beratung, mal Therapie, mal Coaching. Je nachdem, was sich gerade „gut verkaufen lässt“. Diese Begriffe meinen aber jeweils etwas ganz Spezifisches, das sich beschreiben lässt. Als Profis sollten wir damit sehr sorgsam umgehen.
Dabei kann ich in meiner Arbeit aber tatsächlich feststellen, dass ich selber durchaus zwischen den Settings wähle und wandere. Mir ist aber daran gelegen, dass ich den Wechsel bemerke, und dass ich das den Menschen auch sage, was ich im Moment mache und warum ich das jetzt als hilfreiches Angebot einsetzen möchte.
Für mich ist Transparenz im Tun ein zentrales Element: Alle Beteiligten dürfen und sollen wissen, was gerade geschieht. Die „Anbieter“ sollen am besten auch wissen, warum es geschieht, wie es wirksam sein kann. Wenn sich Klienten entscheiden, es nicht wissen zu wollen, weil es ihnen (in ihrer Not) egal ist, dann ist das für mich ok. Aber das Angebot möchte ich machen.

 

Bedeutung der Klarheit über das Setting

In meinem Beratungsraum hängen hinter der Tür (imaginiert) unterschiedliche Arbeitskleidungen, die ich, je nach Beratungskontext und Beratungsbedarf, wahlweise „anziehe“.
Diese Vorstellung hilft mir zur eigenen Rollenklarheit. Je nach dem, für was ich mich entscheide, ziehe ich mich (innerlich) um. Das dürfen die Klienten gerne bemerken, das braucht kein Geheimnis zu sein (kein Expertinnenwissen, das mich auf Kosten der Unwissenheit anderer über diese erhebt).
Konkret kann das heißen, dass ich in einer Eheberatung, wenn es um klar zu beschreibende Konflikte geht, die es auszuhandeln gilt, vorschlage, dass ich die mit den Phasen einer Mediation bearbeiten möchte. Dann wechsle ich die „Berufskleidung“, gehe innerlich in die andere Rolle und kann somit das Setting für mich und für die Klienten deutlich unterschiedlich gestalten. Dann werden die Konflikte, die auszuhandeln sind, mit Mediation bearbeitet. Stehen dann noch weitere Beratungsanliegen an, mache ich jeweils deutlich, wie ich diese Anliegen in einem anderen Setting gestalten könnte und biete dies an. Mir ist es natürlich auch schon passiert, dass ich im Eifer der Arbeit das Setting wechsle, ohne das ausdrücklich zu sagen, meist, weil ich es selber gar nicht bemerkt habe. Die deutlich andere Arbeitsweise fällt aber oft auf, manchmal hat es die Klienten irritiert. Wenn sie dann nachfragten, konnte ich das auch nachher klären, besser wäre es aber schon, wenn ich es selber vorher merke und ankündigen kann. Meine Erfahrung ist, dass das den Klienten mehr Sicherheit gibt, was ja gerade dann wichtig ist, wenn es in einer Beratung um Unsicherheitsthemen geht, was häufig der Fall ist, deshalb sind Menschen ja in Beratung, um sich wieder in ihrem Leben zu versichern.
Die ganz konkrete Arbeit an Konflikten, an unterschiedlichen Sichtweisen über etwas, an unterschiedlichen Vorstellungen darüber, wie etwas geregelt werden kann, hat für mich in den meisten Beratungen mit Paaren oder Familien Platz. Im Beratungskontext bestimmte Bereiche herauszunehmen und mediativ (zum Beispiel mit Phansenmodell) zu klären, gibt den Klienten einen Eindruck davon, dass unterschiedliche Lebensaufgaben unterschiedliche Vorgehen erfordern. Scheinbar eine Binsenweisheit, die im konkreten Zusammenleben aber durchaus manchmal übersehen wird. In einem längeren Beratungsverlauf mit Paaren, immer wieder einzelne Konflikte mit Mediation (am besten erfolgreich) zu regeln, gibt dem Paar oder der Familie immer wieder einen Eindruck davon, dass sie gemeinsam etwas erfolgreich aushandeln können, dass ihnen trotz der Schwierigkeiten, die sie erleben, die sie an die Beratungsstelle geführt haben, einiges doch auch gut (mit Unterstützung) regeln können.
Mir fällt dazu konkret ein Paar ein3, dass sich getrennt hatte, darüber noch sehr traurig und auch wütend aufeinander war. Sie baten um eine Trennungsberatung, weil sie sich immer wieder bei Schwierigkeiten und neuen Entwicklungsaufgaben als Paar oder Familie an der Beratungsstelle gut begleitet erlebt hatten. Sie wollten zum einen ihre Beziehung fair beenden, einzeln, vielleicht auch gemeinsam über ihre Trennung, das Ende ihrer Beziehung trauern, mit all der Wut, die dazu wohl notwendig ist, sahen sich aber gleichzeitig vor der Aufgabe, viele Fragen zu klären, die durch die Trennung jetzt neu auszuhandeln warn: Wer kümmert sich wann, wie um die Kinder; wie ist das gemeinsame Vermögen, der Hausrat aufzuteilen; wie werden Erziehungsfragen und –konflikte besprochen, etc.
An unserer Beratungsstelle sind unterschiedliche Settings möglich. Die Trauerarbeit kann in Einzelberatung, oder auch für das Paar bei einem/r Berater/in besprochen und bearbeitet werden, und bei mir können die anstehenden Konflikte geklärt werden.
Dieses Paar hatte sich entschieden, dass sie alles bei mir machen wollten.4 Während des Beratungsverlaufs habe ich mich bemüht, die einzelnen Fragen und dazu passenden Settings ganz klar und sichtbar zu trennen. An der Beratungsstelle ist es möglich, dass wir unterschiedliche Beratungsräume nützen. Für die Trauerarbeit an der Beziehung war ich mit dem Paar in einem anderen Raum als für die Fragen der Klärung von anstehenden Konflikten. Meine Arbeitsweise hat sich in den unterschiedlichen Räumen deutlich unterschieden. Das hat für die Beteiligten deutlich gemacht, dass es jeweils um unterschiedliche Inhalte ging. Sie haben mir während eines Raumwechsels gesagt, dass sie das als deutliche Hilfestellung erleben, dass mit dem Wechsel zum anderen Raum auch etwas Anderes dran ist. Es half ihnen zur Fokussierung auf das, was sie besprechen wollten und machte den Kontext jeweils für sie deutlicher. Immer wieder haben wir in dem einen Raum auch Bezug auf „den anderen Raum“ nehmen können, was es erleichtert hat, hier zu bleiben, beim jeweiligen Thema zu bleiben. Mir fällt auf, dass ich mich während des Raum-Wechselns „innerlich umziehe“ und damit eine andere Beratungshaltung einnehme.

 

Immer wieder hilfreich - Perspektivenwechsel

In fast jeder Beratung nütze ich die Gelegenheit zu einer Übung. Ich stelle das Paar oder die Familienmitglieder an unterschiedliche Plätze im Raum und frage dann bei jeder/m nach, was er/sie sieht. Natürlich ist das immer sehr unterschiedlich, was die Menschen von ihrem Platz aus sehen (können). Genau darauf kommt es mir an. So erläutere ich in Mediationen, um was es in den Phasen Konfliktdarstellung und Konflikterhellung geht. Das nehme ich mit in fast jede Beratung, denn auch wenn es nicht um Konflikte in erster Linie geht, sondern vielleicht um eine Paarberatung, ist das oft auch Thema: dass der Partner / die Partnerin die Welt so ganz anders wahrnimmt, und wie das die Sicherheit über die eigene Wahrnehmung irritieren kann, ob man es überhaupt aushalten kann, dass es im Paar zwei Menschen gibt, die so unterschiedlich sind, dass sie die Welt unterschiedlich wahrnehmen, obwohl sie vermeintlich in der gleichen Welt leben. Nach dieser Übung ist es oft viel klarer, dass es nicht Sturheit, Dummheit oder böser Wille des/der Anderen ist, dass sie/er ganz anders tickt, sondern eine unterschiedliche Wahrnehmung, die unvermeidlich ist. Die Erkenntnis, wir sind zwar EIN Paar aber mit ZWEI Personen, bzw. Köpfen, die wahrnehmen, ist in den meisten Fällen sehr heilsam und auch tröstlich. Das habe ich mir von der Mediationsarbeit in die anderen Bereiche meiner Arbeit mitgenommen.

 

Gemeinsame Tools – und doch verschieden?

Was die Mediation aus anderen Beratungssettings nützt und was ich in jedem meiner Arbeitsbereiche als sehr hilfreich zu schätzen gelernt habe, ist das Spiegeln, Paraphrasieren, Zusammenfassen, Strukturieren und Bündeln. Die spiegelnden und paraphrasierenden Passagen in der jeweiligen Beratungstätigkeit geben mit anderer Stimme und doch in ähnlicher Weise nochmals zu Gehör, was gesagt wurde. Das wirkt auf Menschen in der Einzelberatung sehr hilfreich, noch mehr auf Paar- und Familiensettings. Dass das, was ich sage, so wichtig ist, dass jemand anderer es so ähnlich nochmals wiederholt, macht es für mich und für die anderen nochmals bedeutsamer. Dabei nützen zu können, dass man als Beraterin etwas weniger scharf oder hart sagt, oder es vielleicht sogar etwas deutlicher und spitzer formuliert, sind Spielarten, die ich gerne einsetze und die immer ihre Wirkung haben. Die Beiträge von Kindern und Jugendlichen genauso wichtig zu nehmen, sie genauso ernsthaft, gründlich und wertschätzend zu wiederholen und ggf. neu zu rahmen, wie die Aussagen der Erwachsenen, ist für mich selbstverständlich und wichtig. Dieses konkrete Tun ist viel überzeugender, als wenn ich „stundenlang erklären würde, wie wichtig dies wäre, wenn man es täte“.
Darin liegt für ein bedeutsamer Aspekt unseres Handelns: Es selber glaubwürdig zu tun überzeugt viel mehr, als Appelle und Belehrungen. Dabei ist es natürlich schon wichtig, dass wir es auch so meinen – und nicht nur so tun als ob. Die Haltung, die mir, unter anderem in der Mediations-Ausbildung beigebracht wurde – weil sie mir dort glaubhaft vorgelebt wurde -, tut über die konkrete Beratungssituation hinaus ihre Wirkung.
Um das Bild von oben mit der unterschiedlichen Arbeitskleidung nochmals aufzugreifen: Die unterschiedlichen Mäntel hängen nicht versteckt in einem Schrank. Sie hängen ganz offen da – ich ziehe mich vor den Klienten, passend für den Anlass, um. Und der Mantel der Mediation passt mir irgendwie besonders gut, ist super-bequem, und unterstreicht auf besondere Art meine natürliche Haltung – diese Kleidung steht mir einfach super und ist für meine ganze beraterische Arbeit sehr passend.

 

Wachsen an dem was wir in Konflikten lernen

Struktur anbieten ist nicht nur für mich hilfreich, damit ich den Überblick behalte, sondern auch für Klienten und Klientinnen. Dass man Inhalte „zerkleinern“, zusammenfassen, bündeln und sortieren kann, ist gerade im alltäglichen Leben eine Unterstützung, die aber nicht so oft genützt wird, weil man in der Geschäftigkeit des Lebens dahinredet, dahinstreitet, dahinplant, dahinlebt. Dabei macht es Sinn, sich innerlich von der Situation etwas zu distanzieren, Abstand zu gewinnen, zu sortieren. Dies wird gerade in der Mediation, noch mehr als in der systemischen Beratung, deutlich.
Die lockere Selbstverständlichkeit, mit der wir dies in unserem beraterischen Tun anwenden, kann dabei wieder konkretes Vorbild sein. Und natürlich kann man das auch immer wieder übend vertiefen. Meist wirkt aber das konkrete Vorbild schon. Ich finde es immer wieder beeindruckend, wie gerade Kinder und Jugendliche sich das von meinem Beratungsstil abschauen und im Laufe von längeren Beratungsprozessen übernehmen, wie sie in ihrer Kommunikations- und Aushandlungskompetenz wachsen und für sich etwas dazugewinnen können. Bei dem Paar, das ich oben schon erwähnt habe, waren ein paar Mal auch die Söhne dabei. Sie haben nicht nur kreativ und ideenreich konkrete und umsetzbare Vorschläge eingebracht, sondern sich von mir offensichtlich einiges abgeschaut. Bei einer der letzten Beratungseinheiten habe ich festgestellt, dass der mittlere Sohn immer wieder paraphrasiert hat, auch spiegelnd zurückgefragt hat, und der ältere Sohn immer wieder zusammenfasste und bündelte. Innerlich habe ich gelächelt, wie sehr die beiden versucht haben, ihre Eltern in deren Sprechen und Streiten zu unterstützen. Ich habe das den beiden auch
zurückgegeben, dass sie da einiges gelernt haben und ihnen vorgeschlagen, wenn sie da helfend eingreifen, dass die Eltern das endlich etwas besser hinbekommen, könnten sie sich überlegen, ob sie dafür Honorar nehmen dürften. Der Vater sagte lachend, sie als Erwachsene hätten auch viel gelernt, aber er erkenne, wenn man selbst im Konflikt stecke, sei man eben manchmal auch wieder blind. Tja, dachte ich, dann ist die Lektion ja bei allen angekommen. Wenn man Teil des Konflikts ist, darf man sich unterstützende Hilfe von außen gönnen, von jemandem, der nicht Teil des Konflikts ist. Manchmal können das sogar die sein, die mit einem Leben, sofern sie nicht Teil des Konfliktes sind. Diese Familie konnte ganz offensichtlich sogar in dieser schwierigen Trennungsphase noch viel für sich mitnehmen und lernen, sich immer wieder selbst bewusst herauszunehmen aus der Situation, sie zu analysieren, zu strukturieren und dann gezielter übearbeiten.

 

Zeit – Termine - Konsequenzen

Viel deutlicher als in anderen Beratungssettings achten wir in der Mediation auf Struktur, weil wir erkennen, dass dies für alle beteiligten eine Hilfe sein kann. Viel deutlicher sind wir dabei auch Lösungsabstinent.
Ein Paar hatte sich angemeldet, um anstehende Konflikte zu klären, die mit ihrer Trennung aufgetaucht waren. So habe ich das zumindest angenommen als die beiden zum Erstgespräch kamen. Im Kontraktgespräch wurde deutlich, dass sich der Mann nicht so viele Gedanken gemacht hatte, was bei einer Mediation geklärt werden sollte. Er hat gehört, dass Mediation hilfreich sein könnte – und das wollte er nützen. Seine Frau war mitgekommen, weil sie seinen Vorschlag generell für einsichtig hielt. Beiden war aber gar nicht so klar, was eine Mediation ist. Der Mann hatte bei der Anmeldung so selbstverständlich nach einer Mediation gefragt, dass ich irgendwie davon ausgegangen bin, sie wüssten, was sie erwartet. Auf meine Frage, an welchen Themen sie denn arbeiten wollten, wurde deutlich, dass beide meinten, ich würde ihnen die Themen vorschlagen. Das habe ich freundlich abgelehnt und sie darauf hingewiesen, dass wir nur an den Themen arbeiten würden, die sie selbst einbringen würden. Meine Themen seien gar nicht wichtig, meine Aufgabe sei lediglich, sie darin zu unterstützen, ihnen einen Rahmen anzubieten, für sie hilfreiche Regelungen für ihre Konfliktthemen zu finden. Das war offenbar schon eine erste Überraschung für die beiden. Der Mann sah mich etwas betroffen an und formulierte, dass er eigentlich erwartet hätte, ich könne ihnen sagen, was für sie gut sei. Vielleicht wäre mir im Laufe der Zeit dazu sogar etwas eingefallen, aber ich versuche mir immer mehr abzugewöhnen, für die Menschen, die zu uns kommen, (besser) wissen zu wollen, was für sie gut sei. Ich habe ihnen gesagt: „Ich kann euch begleiten, mich mit euch auf die Suche machen, damit ihr zu guten Regelungen findet. Aber ich habe keine Idee davon, was das sein könnte – und will das auch gar nicht. Denn es ist euer Leben.“ Vielleicht ein wenig enttäuscht, weil das ja bedeutet hat, dass wir in der ersten Sitzung noch gar keine Themen festlegen konnten, war ihnen das einsichtig. Es hat aber auch auf ein Problem hingewiesen, dass wir besprechen konnten: Es macht Sinn, herauszufinden, was unsere Fragen sind, wenn wir passende Antworten dazu finden wollen. Aus dem allgemeinen Gefühl heraus, dass ziemlich viel gerade ziemlich schwierig ist, und hoffentlich jemand weiß, was für uns jetzt gut sein könnte, kommen Menschen an eine Beratungsstelle. Das kann ich nachvollziehen. Aber dass es auch in schwierigen Situationen längerfristig keinen Sinn macht, die Lösung von Problemen anderen zu überlassen, noch dazu, wenn die Probleme noch gar nicht richtig erkannt und benannt sind, ist ja bereits ein erster entscheidender Schritt hin zu Lösungen. Die Kontraktphase derart zu gestalten, nicht vorschnell zu meinen, dass ich schon wisse, was jetzt (wieder) kommt, habe ich für mich als Auftrag so deutlich präsent, wenn ich den Mediationsmantel anziehe. Ansonsten gehe ich schon auch in die Strukturlosigkeit hinein und halte das aus. Aber in der Mediation bin ich in der Kontraktfindung viel feingliedriger und strukturierter als in anderen Beratungssettings, bzw. übernehme es für andere Settings, weil es auch dort hilfreich sein kann.
Bei diesem Paar war dabei auch das Zeitmanagement eine Frage. Der Mann kam über eine Stunde zu spät. Ich habe in der Zwischenzeit nicht mit seiner Frau gearbeitet, ihr lediglich gesagt, dass wir noch warten könnten. Als der Mann dann endlich kam, war ich selbst überrascht, wie wenig ärgerlich ich war. Ich habe ihm lediglich sehr ruhig, aber klar gesagt, was das nun für den Kontrakt heißt: Wir haben noch eine knappe Stunde Zeit, mehr geht nicht mehr. Die Zeit, die beide nicht nützen konnten, weil er zu spät kam, kostet Geld, steht anderen nicht zur Verfügung.“ Ich habe mich nicht auf seine Entschuldigungen eingelassen, sondern ihm gesagt, dass ich in Mediation nur mit allen Beteiligten arbeiten kann, die waren aber nicht alle da – und dass deshalb jetzt nur noch das, das und das möglich sei, aber eben auch nicht mehr.
Ich hatte den starken Eindruck, dass dieses Thema „Verbindlichkeit von Vereinbarungen“ bereits ein Dauerthema des Paares, der Familie war. Das habe ich nicht besprochen, sondern in der konkreten Situation die Konsequenzen spüren lassen – ohne zu schmollen, es einfach anzuerkennen, was jetzt ist. Ich habe ihnen gesagt, dass ich beim nächsten Mal nur noch max. 15 Minuten warten würde, wenn das nicht klappen würde, gäbe es wohl keine Mediation. Das hat deutlich gewirkt. Interessant war, dass mir der Mann bei seinen Entschuldigungsversuchen alle möglichen Gründe genannt hat, warum er nicht pünktlich sein konnte. Ich habe das hingenommen und ihm deutlich gesagt, dass ich das zwar verstehen könne, aber er dafür verantwortlich sei, seine Termine so zu vereinbaren, dass er sie auch einhalten könne. Schon bei diesem einen Gespräch ist dem Mann wohl etwas bewusstgeworden: dass er selbst für das die Verantwortung übernehmen muss, was er tut.
In einem anderen Beratungssetting hätte ich vielleicht mit der Frau und den Kindern begonnen. Aber für eine Mediation geht das nicht. So wurde allein durch die Rahmensetzung deutlich, dass Verbindlichkeiten eingehalten werden müssen, weil es Konsequenzen für alle Beteiligten hat.

 

Geschwister aus der humanistischen Psychotherapie

Mediation passt für mich wunderbar zu dem, was ich sonst gelernt habe, was mich professionell ausmacht. Ich fühle mich der humanistischen Psychologie sehr verbunden. Carl Rogers mit der Klienten-zentrierten Beratung, Eric Berne mit der Transaktions-Analyse, Virginia Satir und ihren Kolleginnen und Kollegen aus der Systemischen Familientherapie. Mediation passt hier gut dazu. Hier gibt es kein Fremdeln der unterschiedlichen Beratungsansätze. Für mich macht die Mediation noch deutlicher, als die anderen Beratungsansätze, dass die Achtung vor den Klientinnen und Klienten, die Wertschätzung, das tiefe Verständnis von Demokratie, das Bemühen um Empathie und unsere eigene Authentizität hier nochmals in besonderer Weise unterstrichen werden. Mediation ist für mich eben keine Technik oder Methode, sondern sie ist eine „beraterische Haltung“. Sie wird noch deutlicher unterstrichen, wenn ich den Mediationsmantel ganz bewusst anziehe, mich in meiner Rolle für die anderen damit erkennbar mache.


Dr. Gabriele Pinkl, *1967
Dipl. Sozialpäd. (FH)
Magistra Artium (Soziologie, Allg. Pädagogik, Psychologie, Bohemicum, Philosophie)
Systemische Familientherapeutin (DGSF), Mediatiorin (BM),
Ehe-, Familien- und Lebensberaterin (BAG)


1 Unter mediativer Beratung verstehe ich Beratung, die sich in Haltung und Vorgehen eng an Mediation orientiert. Unter einer „klassischen Mediation“ verstehe ich Mediation, die sich weitgehend am Phasenmodell der Mediation orientiert.
2 Wie dieser Diskussionsprozess gelaufen ist, wäre nochmals einen eigenen Artikel wert, weil damit auch die Dilemmata deutlich wurden, in die sich eine Institution mit klaren (dogmatischen) Aussagen zu einer Lehre, der sie sich verpflichtet fühlt, stellt, wenn sie ganz bewusst über die Grenzen der Ehe-, Familien- und Lebensberatung hinausgeht und ganz offensiv Trennungs- und Scheidungsmediation, neben Ehe- und Familienmediation und Mehrgenerationenmediation aufnimmt.
3 Die Familie hat mir erlaubt, sie als Beispiel für diesen Artikel zu nennen. Vielen Dank dafür.
4 Der Berater, der sie früher begleitet hatte, war in Rente gegangen. Sie fanden es aber auch passend, in dieser Phase einen Beraterwechsel zu erleben, weil sich ihre Lebenssituation ja auch deutlich verändert hatte.